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Presse-Information
anlässlich der 34. Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ)
11. bis 12. Oktober 2024


Kongressnachlese

Beckenboden – quo vadis?

Wien, 19. November 2024 – Den muskulär-faszialen Beckenbodenstrukturen wird oft zu wenig Beachtung geschenkt. Erst wenn sie geschwächt oder lädiert sind und dadurch Probleme verursachen, wird man sich ihrer umfassenden Bedeutung bewusst. Bei der heurigen Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) wurde der Beckenboden daher vor den Vorhang geholt. Im wissenschaftlichen Programm beleuchteten Fachleute mit ärztlichem, physiotherapeutischem und pflegerischem Hintergrund seine vielfältigen Funktionen und Herausforderungen in den verschiedenen Lebensphasen. Der interdisziplinären Vernetzung wurde heuer einmal mehr Rechnung getragen und mit den Hebammen eine wichtige Berufsgruppe stärker ins Boot geholt.

Der Beckenboden ist ein muskulärer Trichter, der den Rumpf nach unten hin abschließt, den Organen des Bauchraumes Halt gibt und so die Kontinenz sichert. Er erfüllt seine Aufgaben unwillkürlich, ohne dass wir uns dessen bewusst sind – vielleicht der Grund, warum der Beckenboden ein oft übersehener Teil unserer Körperwahrnehmung und Gesundheit ist.

Knapp 400 Ärzt:innen, Pflegepersonen, Physiotherapeut:innen und Hebammen tauchten im Rahmen der Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) in die faszinierende Welt des Beckenbodens ein und diskutierten seine Bedeutung in den verschiedenen Lebensphasen. „Jede Phase des Lebens – beginnend vom jungen Erwachsenenalter über Schwangerschaft und Geburt bis hin zum fortgeschrittenen Lebensalter – bringt einzigartige Herausforderungen und Veränderungen für diese Muskelgruppe mit sich“, betonen die beiden Kongresspräsidentinnen OÄ Dr. Tu-Mai Thies, Gynäkologin und Leiterin des Beckenbodenzentrums an der Klinik Floridsdorf in Wien und Monika Siller, BSc., Physiotherapeutin und Hebamme in Salzburg. „Etwa jede dritte Frau hat im Laufe ihres Lebens Probleme mit dem Beckenboden – Männer sind auch, aber deutlich seltener betroffen.“

Den Auftakt machte eine Anthropologin, die über die Evolution der menschlichen Beckenmorphologie und Dystokie sprach. Weiter ging es mit Dysfunktionen des jungen Beckenbodens. Diesen können in vielen Fällen auch psychische Ursachen wie eine posttraumatische Belastungsstörung durch Missbrauch und immer häufiger Essstörungen zugrunde liegen. Im Vortrag wurde betont, wie wichtig es sei, in der Anamnese darauf einzugehen und zeige, wie bedeutend die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist. Exemplarisch wurde u. a. auch eine neu beschriebene Blasenfunktionsstörung vorgestellt: das Myofascial urinary frequency-Syndrom (MUFS). Es tritt bei etwa einem Drittel der Personen auf, die – unabhängig von der Urinmenge – mit anhaltendem Harndrang zu kämpfen haben.1 Bei fast allen Patient:innen zeigt sich ein hypertoner Beckenboden, eine gestörte Muskelentspannung und eine erschwerte Miktion mit Restharngefühl.

Mit Physiotherapie kann man bei diesen Patient:innen viel erreichen. Dabei kommen der umfassenden Anamnese und der klinischen Untersuchung anhand einer vaginalen oder rektalen Palpation nach dem PerfECT-Schema2 eine zentrale Bedeutung zu. Um den Tonus des Beckenbodens zu beschreiben, wird auch perinealer Ultraschall eingesetzt. Damit kann einerseits die Funktion der Muskulatur überprüft werden, andererseits ist er eine wirkungsvolle visuelle Biofeedbackmethode für die Patient:innen. Wichtig zu wissen: Das Ziel der Physiotherapie ist nicht allein die Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur, sondern inkludiert auch Techniken zur Verbesserung der Wahrnehmung, Dehn- und Entspannungsfähigkeit.

Schwangerschaft & Geburt: der lädierte Beckenboden
Während einer Schwangerschaft verändert sich der weibliche Beckenboden und er ist einer starken Belastung ausgesetzt. Er kann aber auch infolge einer natürlichen Geburt Schaden nehmen. Am häufigsten sind Dammrisse. Höhergradige Dammrisse (DR III und IV; Obstetrical Anal Sphincter Injury, OASIS), also wenn auch der Sphinkter verletzt ist, sind glücklicherweise eher selten. Bei bis zu 20 Prozent der Frauen hingegen reißt der Musculus levator ani (Levator-Avulsion).3 Mit diesen Geburtsverletzungen assoziierte Komplikationen sind Harn- oder Stuhlinkontinenz, Harnverhalt, Senkungsbeschwerden und Empfindungsstörungen in der Sexualität. Es gilt daher, die Patientinnen adäquat zu versorgen und schon im Wochenbett die Wundheilung zu unterstützen. Physiotherapeutische Beratung wird bereits unmittelbar nach der Geburt empfohlen.

Als weitere postpartale Komplikation wurde die Blasenentleerungsstörung thematisiert, wenn also bis zu 12 Monate nach der Entbindung die Blase nicht vollständig entleert werden kann. Dies ist ein häufiges Problem mit vielfältigen Ursachen, bei dem eine rasche Versorgung mittels Katheter vielen Frauen helfen kann. Eine intermittierende Katheterisierung ist einem Dauerkatheter meist überlegen, die jeweiligen Vor- und Nachteile sollten aber immer individuell besprochen werden. Auch bei postpartalen Blasenentleerungsstörungen sollte unmittelbar nach der Geburt mit der physiotherapeutischen Beratung begonnen werden. Von pflegerischer Seite wird bei Verdacht auf eine unvollständige Blasenentleerung der Restharn mittels Blasentagebuch gemessen und mit der betroffenen Wöchnerin das Entleerungsverhalten optimiert. Erst dann kann man über den Bedarf an individuellen Hilfsmitteln entscheiden.

Bei postpartalen Darmentleerungsstörungen ist die Obstipation das vorherrschende Problem der Frühwöchnerin. Sie wird häufig übersehen, weshalb es ein achtsames Fragen nach der Stuhlentleerung braucht. Therapeutisch kommen Ernährungsberatung durch eine Diätologin, Regulierung der Stuhlkonsistenz und die Beratung über die richtige Sitzposition bei der Entleerung zum Einsatz. Zäpfchen und Klistiere sind wertvolle Hilfsmittel.

Senkungsbeschwerden im Wochenbett
In einem eigenen Block wurde das Absinken eines oder mehrerer Beckenorgane nach der Entbindung besprochen. Sowohl beim Pelvic Organ Prolapse (POP), also dem Vorfall von Harnblase oder Uterus, als auch bei Senkungszuständen im hinteren Kompartiment (Rektozele, Rektumprolaps, Intussuszeption) sollte in erster Linie eine konservative Behandlung angeboten werden. Erst wenn diese erfolglos bleibt, kommt die chirurgische Therapie, wie etwa die vordere Plastik (Kolporrhaphia anterior) bei der Zystozele (Prolaps der Harnblase), zum Einsatz. Wesentlicher Bestandteil in der Behandlung von Senkungen in allen Kompartimenten ist das Beckenbodentraining.

Eine Lanze für Pessare
In vielen Fällen sind Pessare postpartal eine sehr gute Option, betonten mehrere Expert:innen. Auch im Falle einer Senkung sind sie sowohl präventiv als auch therapeutisch zur aktiven nachgeburtlichen Rekonvaleszenz des Beckenbindegewebes zusätzlich zur gezielten Physiotherapie wirksam. Internationale Fachgesellschaften empfehlen daher, dass Frauen mit symptomatischem Beckenorgan-Prolaps eine Pessartherapie angeboten werden sollte. Sitzen sie richtig, verbessern sie zudem die Kontinenz, sie helfen auch bei der symptomatischen Behandlung einer Levator-Avulsion, Frauen können wieder aktiver werden, was zu einer Verbesserung der Lebensqualität führt.

Großer Schmerz im kleinen Becken
Unter den vielen Beschwerden im Bereich des kleinen Beckens spielt der Unterbauchschmerz eine Rolle. Um ihn adäquat therapieren zu können ist es wichtig, das Schmerzgeschehen genau abzugrenzen. Grundsätzlich wird zwischen zwei Arten von Unterbauchschmerzen unterschieden: Der somatische Schmerz, der durch die direkte Irritation des Plexus lumbosacralis verursacht wird und dadurch klar definierbar ist, und der viszerale Schmerz, der als vage, drückend, stechend oder kolikartig empfunden wird. Über die Zeit hinweg kann es bei zweiterem zu einer sogenannten viszeralen Hyperalgesie kommen. Das bedeutet, die Schmerzschwelle sinkt, bis es schließlich auch bei Abwesenheit der ursprünglichen Schmerzursache bereits zu einer Schmerzsensation kommen kann. Das macht diesen chronischen Unterbauchschmerz so schwer behandelbar.

Weil am Beckenschmerz viele Strukturen mitwirken, die oftmals eine diffuse Schmerzwahrnehmung mit sich bringen und das komplexe Zusammenspiel der vielen Funktionen des Beckens den Schmerz zu einem zum verwirrenden Syndrom machen kann, wurde im Zuge der Tagung auch der Psychosomatik Raum gegeben. Dementsprechend muss die Schmerztherapie multimodal und interdisziplinär erfolgen. Am Ende des Blocks wurde noch auf die Dyspareunie, dem Schmerz während und nach dem Geschlechtsverkehr, aus der physiotherapeutischen Perspektive eingegangen.

Der alternde Beckenboden
Der zweite Kongresstag fokussierte auf die fortgeschrittene Lebensphase und startete mit der Neurophysiologie des Schmerzes durch Traumata, Belastungen bzw. Fehlbelastungen im Laufe des Lebens. So kann es etwa durch Operationen im Bauchraum zu Adhäsionen kommen, die je nach schmerzendem Areal allerdings oftmals als unspezifischer Rückenschmerz, Ischialgie o. ä. missinterpretiert werden können. Im Alter verändert sich zudem die Art der Zusammensetzung des Gewebes – der Anteil an Kollagen III und Fibrillin wird weniger, was eine erhöhte Steifigkeit im Gewebe zur Folge hat. Mit der abnehmenden Elastizität sinkt auch die Reaktionsfähigkeit des Gewebes und damit die Voraussetzung für Bewegungsabläufe. Das betrifft auch die Harnblase und die Harnröhre – auch ihre elastischen Komponenten verändern sich im Alter. Um das gesamte System elastisch zu erhalten, ist es wichtig, im späteren Alter manuelle Therapien zu nutzen und sich viel zu bewegen. Haben Narben und Gewebsveränderungen Auswirkungen auf die Motorik, können etwa durch Verbesserung der Perzeption therapeutische Möglichkeiten gefunden werden. Wichtig ist, diese zahlreichen funktionellen Zusammenhänge zu verstehen und die richtigen therapeutischen Schlüsse zu ziehen.

Als Urolog:in ist man bei älteren Patient:innen mit Speicher- und Entleerungsstörungen konfrontiert. Zu ersteren zählt vor allem die Belastungsinkontinenz. Entleerungsstörungen sind anatomische Obstruktionen, wie das Prostatawachstum beim Mann und die Zystozele bei der Frau. Auch eine funktionelle Obstruktion durch eine habituell angelernte Dyskoordination oder eine Dyssynergie bei neurologischen Störungen kann die Entleerung beeinträchtigen. Im koloproktologischen Vortrag wurde u. a. die Frage nach der „normalen“ Defäkation beantwortet, die zahlreichen Einflüssen unterliegt: 3x/Woche bis 3x/Tag kann als physiologisch gesund angesehen werden. Die häufigsten Krankheitsbilder beim älteren Menschen sind der Rektumprolaps und die fäkale Inkontinenz. Ein Prolaps ist immer eine Indikation für eine Operation, wohingegen die Inkontinenz nur dann chirurgisch behandelt wird, wenn die konservative Therapie nicht den gewünschten Erfolg bringt.

Sport: Schaden oder Nutzen für den Beckenboden?
Abschließend wurden der weibliche Beckenboden und Sport im Rahmen einer Podiumsdiskussion aus unterschiedlichen Perspektiven erörtert. In kurzen Keynotes wurde unter anderem erläutert, dass es sehr individuell ist, ob Sport einen positiven oder negativen Einfluss auf den Beckenboden hat und welche Sportart in welcher Intensität betrieben wird. So reduziert moderate Bewegung das Risiko für Harninkontinenz (HI).4 Sportarten mit hoher physischer Intensität, hohen Sprungbelastungen und hoher Dehnung der Hüftmuskulatur beim z. B. Trampolinspringen, Handball, Fußball oder bei der Gymnastik bringen ein höheres HI-Risiko mit sich.5 Ob der Sport von einer Athletin oder einer untrainierten Frau ausgeübt wird, macht dabei keinen signifikanten Unterschied. Im Anschluss gingen Physiotherapeutinnen, Hebammen, eine Gynäkologin, eine Diätologin, zwei Sportwissenschafterinnen und Trainierinnen den Fragen nach, wann man nach einer Schwangerschaft wieder Sport treiben darf, diskutierten das Tabu Inkontinenz im Leistungssport und die Bedeutung von (mehr) Informationsangeboten für Sportlerinnen.

Zertifiziert und ausgezeichnet
Um die Entstehung von qualifizierten Anlaufstellen für Patient:innen mit Kontinenz- und Beckenbodenproblemen zu fördern und österreichweit einheitliche Qualitätsstandards in der Diagnostik, Therapie und Versorgung zu schaffen und zu sichern, bietet die MKÖ in Kooperation mit Quality Austria als unabhängiges und interdisziplinäres Expertengremium an, derartige Zentren zu zertifizieren. Im Rahmen des Kongresses wurde heuer mit dem Schweizer Spital Limmattal in Schlieren erstmals einer ausländischen Klinik das Zertifikat „Kontinenz- und Beckenboden-Zentrum (KBBZ)“ verliehen. Die Klinik Wien Floridsdorf wurde re-zertifiziert.


Gruppenbild:OÄ Dr. Tu-Mai Thies, OÄ Dr. Michaela Lechner, OA Dr. Michael Rutkowski, Monika Siller, BSc. (v.l.n.r.)

Das Resümee der Tagungspräsident:innen Thies und Siller: „Der jährliche Kongress der MKÖ lebt von der fachlichen Expertise, dem klaren Praxisbezug und der interdisziplinären Vielfalt. Diese Kombination zeichnet dieses Event aus und ist auch heuer wieder in beeindruckender Weise gelungen.“

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1 Ackerman AL et al. Scientific Reports volume 13, Article number: 18412 (2023)
2 Power (Kraft), Endurance (Ausdauer), Repetitions (Wiederholung), Fast Kontraktions (Schnellkraft)
3 DeLancey JOL, Masteling M, Pipitone F, et al.: Pelvic floor injury during vaginal birth is life-altering and preventable: what can we do about it? Am J Obstet Gynecol 2024; 230 (3): 279–94.
4 Bø K, Nygaard IE. Sports Med. 2020 Mar;50(3):471-484.
5 Ludviksdottir I et al. Laeknabladid. 2018;104(3):133-138.
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MKÖ: Engagement seit über 30 Jahren
Blasen- und Darmschwäche sind ein häufiges Problem, welches zumindest zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung betrifft. Begonnen hat die systematische Inkontinenzhilfe 1990 in Linz, als sich ein kleiner Kreis von Ärzt:innen, wie auch Angehörigen des diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegeberufs und der Physiotherapie zusammenschloss. Seit Bestehen ist es das Ziel der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ), Maßnahmen zur Prävention, Diagnostik und Behandlung der Inkontinenz sowie der einschlägigen Forschung, Lehre und Praxis zu fördern. Dazu gehört die spezielle Schulung des medizinischen Fachpersonals ebenso wie die gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Information und Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen. Heute ist die MKÖ maßgeblich an der Vernetzung von Fachärzt:innen, Ambulanzen, Allgemeinmediziner:innen, Physiotherapeut:innen, Pflegepersonen und der Öffentlichkeit beteiligt. Einen wesentlichen Beitrag dazu liefern auch die seit 1991 jährlich abgehaltenen Jahrestagungen sowie die Kontinenz-Stammtische bzw. -meetings in Oberösterreich, Niederösterreich, Wien, Salzburg und Kärnten.

Kontinenz ist MKÖ!
www.kontinenzgesellschaft.at

 

Kontakt für Journalisten-Rückfragen:
Elisabeth Leeb
[ Gesundheitskommunikation › Medienarbeit › Text ]
T: 0699/1 424 77 79
E: elisabeth@leeb-pr.at

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